Sehr geehrte Gäste, liebe Bergfreunde.Was soll ich dem noch hinzufügen? Gegen die Redekunst, die Herbert hier gerade an den Tag gelegt hat, werde ich sowieso blass aussehen. Seit Wochen plagt mich ohnehin die Sorge, worüber ich denn überhaupt sprechen soll. Selbst vor 9 Tagen war ich da noch unschlüssig.
Am vergangenen Sonnabend startete ich beim Birkebeinerrennen. Viele werden es kennen, zumindest vom Namen her. Es ist ein Skilanglaufmarathon in Norwegen mit 16000 Teilnehmern, ein bunter Haufen von jung bis alt. Jeder hat dort ein ganz persönliches Ziel, aber alle laufen gemeinsam in die gleiche Richtung! Und es ist ein äußerst faires Miteinander dort. Keine wilden Beschimpfungen wenn ein Vorsichtiger einen Voranstürmenden ausbremst, keine Beschwerden über einen ungeschickten Spurwechsel des Vordermanns. Und auch das Vertrauen ist wichtig, in die, die vor einem laufen, besonders dann, wenn der Weg steil wird. Und all diese 16.000 Starter kommen nicht etwas aus einem einzelnen Verein, nein aus vielen verschiedenen Vereinen.
Vielleicht hatten die Gründungsväter des SBB vor einhundert Jahren ein ähnliches Schlüsselerlebnis. Auch damals kam es ihnen darauf an, einem bunten Haufen eine gemeinsame Richtung zu geben, Fairness und gegenseitiges Vertrauen zu stiften. Es ist ihnen gelungen.
Warum gelang es ihnen?
Es waren nicht nur gemeinsame Werte, nein vor allem waren es gemeinsame Ziele, die den bunten Haufen zu unserem Bund zusammenschweißten. Es gab verschiedene Ziele und sie wandelten sich auch mit der Zeit. Eines kann man aber rückblickend sagen, unser Bund war genau dann am stärksten, wenn die Ziele am größten waren. Ein erstes großes Ziel war es, gegen die hohen Unfallzahlen der Anfangsjahre anzukämpfen. Schon im zweiten Jahr seines Bestehen gründete der SBB in seinen eigenen Reihen eine Bergsamariterabteilung. Deren Hilfe stand nicht nur Vereinsmitgliedern sondern jedem zur Verfügung. Es war damit die erste gemeinnützige Tätigkeit des SBB.
Dies war die Geburtsstunde der Bergwacht Sachsen. Auch wenn die Bergwacht jetzt zum DRK und nicht mehr zum SBB gehört: SBB und Bergwacht stehen sich auch heute noch nahe. Vielleicht sollten wir als SBB den 100sten Geburtstag unseres Kindes Bergwacht im nächsten Jahr nutzen, noch stärker nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Potential dafür sehe ich vor allem bei der Ausbildung und der Jugendarbeit. Für den SBB folgten bessere und auch schlechtere Zeiten, große und kleine Ziele. In unserer Chronik „100 Jahre Sächsischer Bergsteigerbund“ sind sie alle beschrieben und so verzichte ich hier auf Details.
Nach dem zweiten Weltkrieg hörte der SBB auf als Verein zu existieren. Die Werte jedoch blieben in den Köpfen der Mitglieder erhalten, sie wurden bewahrt und an jüngere Generationen weitergegeben, so auch an mich. Die Ziele der damaligen Zeit waren meist individueller Natur wie z.B. eine Klubhütte oder das Beschaffen von Kletterausrüstung. Raum für große Ziele blieb wenig, der allgegenwärtige Staat kümmerte sich ja um alles Wichtige. Zumindest war er der Meinung dies zu tun. Mit der Wende änderte sich das schlagartig.
Die Werte waren noch vorhanden, der Staat war weg. Stattdessen waren wieder große Ziele da. Ein Bergsteigerverein, ein eigenständiger, nicht bevormundeter Bergsteigerverein sollte es sein.
Es war ein mutiger Schritt, den am 21. Dezember 1989 sieben Bergfreunde taten, um den SBB wieder entstehen zu lassen. Gleichwohl war es nicht schwer, sie rannten damals offene Türen ein. Auch bei mir.Neben dem großen ideellen Ziel eines neuen SBB gab es auch noch ganz andere Ziele. Greifbare Ziele. Die Alpen waren solch ein Ziel. So wie am vergangenen Sonnabend der bunte Haufen von Rena nach Lillehammer stürmte, so stürmten die Klettersachsen als bunter Haufen in die Alpen.So war es nur folgerichtig, dass der SBB die Aufnahme in den Deutschen Alpenverein beantragte, selbst wenn dadurch scheinbar ein kleines Stück der neu gewonnen Unabhängigkeit gleich wieder abgegeben wurde.
Rückblickend können wir sagen es war eine richtungsweisende und gute Entscheidung, Dank nach München, dass der DAV uns mit offenen Armen empfangen hat. Bevormundet hat er uns nie, und die kleinen Irritationen des Vorjahres sind sicher auch bald ausgeräumt. Aber es gab nach der Wende auch noch andere Ziele. Eines davon bewegt den SBB eigentlich schon seit seiner Gründung: der Schutz unserer Felsenheimat und der umgebenden Natur.
Es war ein großer Verdienst unseres jungen wiedergegründeten SBB, gleich zu Beginn den Natur- und Umweltschutz ganz oben auf die Liste unserer Ziele zu schreiben. Der Schutz der sächsischen Schweiz ist für uns zwar nicht uneigennützig, aber das was wir im Bereich Natur- und Umweltschutz tun, geht deutlich über eine Tätigkeit für uns selbst hinaus. Wir tun hier etwas für die gesamte Gesellschaft, wir sind wieder gemeinnützig.
Und genau dieses Eintreten für die Natur ist es auch, welches die hohe gesellschaftliche Anerkennung unseres Vereins begründet. Man sollte ruhig ab und zu mal daran erinnern: Das Klettern in der Sächsischen Schweiz ist nicht deshalb für uns so günstig geregelt, weil wir so traditionell klettern. Nein der einzige Grund dafür ist: weil man uns zugetraut hat, mit der Natur verantwortungsvoll umzugehen.
Das war 1992 und wir müssen auch in Zukunft dafür sorgen, dass dies so bleibt. Das Sächsische Naturschutzgesetz ist nämlich kein Versicherungsvertrag, der sich stillschweigend automatisch jedes Jahr verlängert. Und es genügt nicht, auf die Arbeitsgruppe Natur- und Umweltschutz des SBB zu verweisen. Jeder muss hier was tun und jeder kann hier was tun. Ein kleiner Tipp dazu liegt auf Eurem Platz.
Ja wie ist das mit der Beziehung des sächsischen Bergsteigers zur Natur, ist sie angeboren oder muss sie erlernt werden? Ich gebe es gerne zu: am Anfang war es der reine Fels der mich lockte, Natur war zweitrangig. Ich zählte die bestiegenen Gipfel und addierte die Schwierigkeitsgrade. Da war ich 14. Es dauerte Jahre bis ich auch ein Auge für die Natur entwickelte, ein Ohr für das Rauschen der Wälder, die Stille über den Gipfeln. Meine Klubkameraden vom KV Rübezahl halfen mir dabei. Weil es bei mir eine Weile dauerte, darum bin ich selbst nachsichtig gegenüber denen, die sich jetzt in dieser ersten Phase ihrer Bergsteigerei befinden. Die noch nicht durchschaut haben, dass Bergsport mehr bedeutet als Berge als Sportgeräte zu behandeln. Nachsichtig bin ich auch, weil es heute auch gar nicht mehr so leicht ist, das Wesen des Bergsteigens zu erkennen. Was ist sein wahres Wesen? Worin unterscheidet sich der Bergsteiger von anderen?
Er unterscheidet sich hauptsächlich darin, dass er seine Nichtigkeit inmitten von Fels und Natur erkannt hat. Aber dies zu erkennen ist heute viel schwerer als je zuvor. Wir leben in einer Gesellschaft die sich an Erfolg und Karriere misst, in der Egoismus gesellschaftsfähig geworden ist. In der individuelle Freiheit als höchstes Gut gilt.
Da kommt ein junger Mensch aus der Schule und dort haben sie im eingetrichtert: „Du bist alles“. Er kommt in die Berge und soll erkennen: „Du bist nichts“. Das kann der gar nicht allein. Ein Teil von den jungen Menschen hat das Glück, dass ihm Freunde oder Eltern auf dem Weg zum Berg behilflich sind. Aber was macht der Rest? Da sind wir als Verein gefordert und da sollten wir in Zukunft mehr tun. Wir organisieren Kinderkletterlager – das finde ich toll – aber die Chance den jungen Teilnehmern neben dem Gebrauch von Seil und Karabinern auch gleich den Gebrauch unserer Felsenheimat beizubringen haben wir bisher viel zu wenig genutzt. Ich bin sicher, damit lässt sich mehr bewegen, als mit Unterschriftensammlungen gegen Toprope-Klettern. Warum klettern bei uns Kindergruppen teils mit Toprope?Nicht weil es zu wenige Traditionswächter gibt. Nein es gibt zu wenig Übungsleiter, die den Kindern auch mal ein paar Wege vorsteigen. Hier sind neue Ideen gefragt und vor allem Engagement. Von jedem einzelnen. Klar, es ist viel leichter auf kommerzielle Kletterkurse zu schimpfen, als selbst mal ein Kletterwochenende zu opfern, um Anfängern die Grundlagen des Kletterns beizubringen. Aber stellt Euch doch mal vor, alle Klettersachsen hätten Vorsteigen und Schlingen legen ordentlich gelernt und für Auswärtige könnte der SBB einen Wochenendcrashkurs „Sächsisches Klettern“ anbieten.
Müssten wir dann über Toprope oder Burg Hohnstein überhaupt noch diskutieren? Ich hatte zuvor von Zielen gesprochen. Das wäre doch ein Ziel für die nächsten Jahre: Traditionsbewahrung durch Ausbildung statt durch Predigt.
Derzeit läuft Traditionsbewahrung ja meist in Diskussionsforen ab. Wenn man diese verfolgt, ob nun im Internet, am Kletterstammtisch oder durchaus auch in unseren Klubvertretersitzungen, dann könnte man fast meinen, die Feinde unseres Klettersports säßen in unseren eigenen Reihen. Sitzen sie nicht! Sie sitzen weder in Hohnstein noch in Stolpen und auch nicht im XXL. Die wahren Feinde warten nur darauf, dass wir diejenigen in Hohnstein oder Stolpen so diffamieren, dass sie nicht mehr welche von uns sein wollen. Diese Feinde frohlocken, wenn wir uns in Bruderzwist verlieren und damit unser Bund an Bedeutung und Stärke verliert.
Es war auch die Stärke unseres Bundes der wir die Verankerung des Kletterns im Naturschutzgesetz zu verdanken haben. Jetzt liegt es in unserer Hand, den Sächsischen Bergsteigerbund in den nächsten 100 Jahren stark und geschlossen zu halten.Aber wie? Aus meiner Sicht schaffen wir das nur, wenn es uns dauerhaft gelingt die unterschiedlichen Auffassungen unserer Mitglieder unter einen Hut zu bringen. Das beinhaltet aber auch, die Belange der Jugend zu berücksichtigen und Kompromisse zu schließen. Möglicherweise in Zukunft ein wenig stärker als in den vergangenen Jahren.
Es ist nun einmal das Vorrecht der Jugend, auch die Dinge kritisch zu hinterfragen, die bisher als unverrückbar galten. Dabei muss beileibe nicht alles Neue auch gut sein. Aber eben auch nicht automatisch schlecht. Es hilft uns nicht weiter, wenn wir uns gegenseitig die Unterschiede vorzählen.
Wir müssen wieder mehr unsere Gemeinsamkeiten finden. Das ist keine große abstrakte Aufgabe unseres Bundes. Das ist die Aufgabe eines jeden einzelnen von uns, und zwar mit gegenseitiger Achtung und Vertrauen, mit Nachsicht und etwas mehr Gelassenheit.
Wir sind stolz darauf, sächsische Bergsteiger zu sein. Vor Fels und Natur gelingt es uns, zu erkennen, dass wir nicht das Maß aller Dinge sind. Da kann es doch auch nicht so schwer sein, das gleiche auch vor unsern Vereinskameraden und vor allem vor uns selbst einzugestehen.
Lasst uns ein bunter Haufen bleiben! Das tut uns gut. Aber lasst uns wieder alle in eine gemeinsame Richtung stürmen! Dann werden wir in naher Zukunft auch 16.000 Gleichgesinnte sein.
Berg Heil!