Schon immer gab und gibt es Flucht und Vertreibung vor Kriegen, wirtschaftlicher Not oder aus religiösen Gründen, ob heute aus der Ukraine, gestern Ostdeutsche nach Westdeutschland oder die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich oder der Israeliten aus Ägypten oder der Sachsen aus dem Gebiet rechts der Neiße. Der Sachsen? Neben der Migrationsbewegung am Ende des Zweiten Weltkrieges von Ostpreußen, Schlesier und Sudetendeutschen – mehr als 12 Millionen Deutsche – waren es auch Sachsen die im Zittauer Zipfel lebten, eben in jenem Dreiländereck zwischen Oberlausitz, Böhmen und Schlesien mit dem Braunkohletagbau Turów (Türchau), der Stadt Bogatynia (Reichenau) und im Norden dem Flüsschen Witka (Wittig) als Grenze zu Schlesien. Weil Stalin die im Hitler-Stalin-Pakt „erworbenen“ polnischen Ostgebiete dauerhaft der Sowjetunion angliedern wollte, hatten die Sowjets in einem geheimen Vertrag von Juli 1944 mit der kommunistischen Exilregierung Polens die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens vereinbart. Mit den Westmächten wurde auf der Jalta-Konferenz vom Februar 1945 einem bedeutenden Gebietsgewinn Polens zugestimmt ohne einen genauen Grenzverlauf festzulegen. Die Sowjetunion überließ der von ihr anerkannten kommunistischen polnischen Regierung die Verwaltungshoheit im „befreiten Polen“. Durchgesetzt wurde die Verwaltung durch polnisches Militär. Und so kam es zur Vertreibung von Sachsen aus ihrer Heimat.
Die beiden Autoren Dannenberg und Donath – übrigens auch die Herausgeber der Sächsischen Heimatblätter (Bestandteil der Bibliothek) – haben Zeitzeugen befragt, Erinnerungsberichte studiert und amtliche Dokumente in Archiven ausgewertet. Die Berichte der Zeitzeugen sind mitunter so lebendig, als wäre es gestern geschehen und manche haben ihr Schweigen erstmalig nach 70 Jahren gebrochen, weil zu DDR-Zeiten es strikt verboten war, darüber zu sprechen und sich im Westdeutschland kaum jemand dafür interessierte. Diese Berichte wurden wechselseitig in die schriftlichen Überlieferungen aus Archiven und Bibliotheken eingefügt, wodurch ein aufgelockerter Text entsteht. Die Vertreibungen in diesem Gebiet hat manche Besonderheit derart, dass mitunter nur auf das adere Flussufer der Lausitzer Neiße gewechselt wurde und das Schicksal der zurückgelassenen Höfe sowie die Qualen des Viehs miterlebt werden mussten oder mancher nachts, unter Gefahr entdeckt zu werden, durch den Fluss gegangen ist, um noch etwas Hab und Gut zu holen. Aber auch die Neuansiedlung der vertriebenen Ostpolen im „Wiedergewonnen Gebiet“ (so die Lesart der polnischen Behörden) ist Gegenstand der Publikation. Die Besonderheit des Kraftwerkes Türchau, auf deutsche Seite gelegen, und deren Kohlengrube, nunmehr polnisch, in Verbindung mit der Stromerzeugung und Lieferung nach Polen werden auch umfassend dargestellt.
Es bleibt zu wünschen, dass diese Dokumentation unter der historisch interessierten Leserschaft Anhänger findet. Sie steht unter der Signatur S0608 im Regal.
Falk Große